Klassenfahrt der 4a nach Hinsbeck

von Johannes Winters

Die erste Klassenfahrt im Leben ist immer etwas Besonderes.

Man verreist vielleicht das erste Mal im Leben, so ganz ohne Eltern und Geschwister. Man lässt die Geborgenheit der Familie und des bekannten Umfelds zurück. Vielleicht schläft man das erste Mal nicht im eigenen Bett, isst für ein paar Tage nicht das von Mutter oder Vater heißbeliebte, selbstgekochte Essen.

Man ist furchtbar aufgeregt, vielleicht auch ein bisschen verängstigt, aber dennoch voller Vorfreude auf ein Abenteuer, das man in dieser Form nur ein einziges Mal im Leben erleben darf. Auf den ersten Blick vielleicht ein kleiner, zaghafter Schritt in Richtung des Erwachsenwerdens, aber fragt man sein inneres Kind, so bekommt man als Antwort, dass auch die kleinsten ersten Schritte uns damals riesig vorkamen.

Die Voraussetzungen waren gut. Der Wetterbericht prophezeite uns für den Zeitraum der Klassenfahrt schönstes Frühlingswetter und auch das allgegenwertige Pandemiegeschehen rückte in den Hintergrund, nachdem alle Kinder und Lehrkräfte am Morgen der Abreise negativ getestet wurden. Und so machten wir uns, also die Klasse 4a mit ihrer Klassenlehrerin Frau Adams und meine Wenigkeit, frohen Mutes auf den Weg.

Das Schöne an NRW ist, dass man gar nicht so weit reisen muss, um der hektischen Urbanität zu entkommen. Nicht mal eine Autobahn braucht es dafür. Ein paar der Abschiedstränchen waren noch gar nicht getrocknet, da hatte uns unser Busfahrer gekonnt innerhalb von dreißig Minuten über malerische Landstraßen vom Grauen ins Grüne gelotst, hin zu unserem Ziel, der DJH Jugendherberge Nettetal-Hinsbeck.

Schon die ersten Eindrücke ließen Kinder- (und Lehrerherzen) höherschlagen. Hochhäuser, laute Autos und Straßenbahnen, gestresste Menschen, die von A nach B hetzen? Fehlanzeige! Stattdessen waren wir umgeben von Bäumen und Wiesen, von singenden Vögeln und einer wunderschönen Natur, die kurz davor war, durch die strahlende Frühlingssonne wachgeküsst zu werden. Auch für anderweitige Unterhaltung sollte in den nächsten Tagen gesorgt sein. Das äußerst einladend und eher modern wirkende Gebäude der Jugendherberge ist umgeben von nicht einem, sondern zwei riesigen Spielplätzen, die nichts zu wünschen übrigließen. Zwei großen Fußballfelder, zwei Basketballkörbe, eine Seilbahn, Rutschen, Schaukeln, Rückzugs -und andere Spielmöglichkeiten, Grillplätze und sogar ein eigenes Zirkuszelt ließen jegliche Sorgen, dass es den Kindern in den nächsten Tagen ein wenig langweilig werden könnte, schlagartig verstummen.

Da unsere Zimmer bei Ankunft noch nicht bezugsfertig waren, konnten die Kinder das Areal auch umgehend erkunden. Nachdem uns das äußerst freundliche Personal begrüßt hatte und wir das Gepäck in unserem eigens reservierten Aufenthaltsraum verfrachtet hatten, ging es los auf den Spielplatz. Aber nicht, bevor das Wichtigste überhaupt festgelegt wurde! Die Zimmerbelegung. Nicht alle waren auf Anhieb glücklich damit, aber im Laufe der Klassenfahrt sollte sich herausstellen, dass im Vorfeld genau die richtigen Entscheidungen getroffen worden waren.

Danach ging es also hinaus auf den Spielplatz, auf dem das Hauptaugenmerk auf den wichtigsten Teil der Reise überhaupt gelenkt werden sollte: Spaß! Die Kinder sollten Spaß haben. Weit weg von Corona -und Mathetests, von Lernzielkontrollen und häuslicher Quarantäne sollten die Kinder mal wieder das tun, was sie am allerbesten können: Kind sein! Und so wurde bis zum Mittagessen ausgiebig Fußball und Basketball gespielt, Bäume wurden erklommen und es wurde endlich mal wieder unbeschwert gerutscht und gequatscht und geschaukelt.

Noch vor dem Mittagessen bezogen wir dann unsere Zimmer. Auch hier sollte sich der erste Eindruck der Jugendherberge bestätigen. Die Zimmer waren hell, sauber, geräumig und durch die separaten Duschen und Toiletten außerordentlich gut ausgestattet. Allein die bei Kindern immer noch allseits beliebten Hochbetten erinnerten mich an den muffigen Uraltcharme der Jugendherbergen, die ich in meiner eigenen Kindheit besuchen durfte.

Kurz vor 12 Uhr machten wir uns dann gemeinsam auf den Weg in den lichtdurchfluteten Speisesaal. Schon unmittelbar nach der Ankunft in der Jugendherberge war einigen Kindern ein äußerst angenehmer Duft in die Nase geströmt. Sollte es etwa Pizza geben? Nein. Spaghetti Bolognese stand auf der Speisekarte und als Nachtisch Vanillepudding. In Kleingruppen machten wir uns also auf den Weg zum Buffet, das von zwei freundlichen Küchenhilfen bedient wurde und ließen unsere Teller füllen. Auch für genügend Getränke war gesorgt. Da, neben unserer Klasse, auch drei weitere Schulklassen die Jugendherberge zur selben Zeit besuchten, hatte sich das Herbergsteam ein stimmiges Hygienekonzept überlegt. Die Klassen kamen gestaffelt, zu unterschiedlichen Zeiten zu Tisch, sodass es sehr selten der Fall war, dass sich vor dem Buffet lange Schlangen von Schülern unterschiedlicher Schulen bildeten. Auch das Frühstück und das Abendessen ließ in den nächsten drei Tagen kaum Wünsche offen. Morgens gab es frische Brötchen, Vollkornbrot und Obst, Cornflakes mit Milch, Kakao und Tee und auch das Abendessen war ähnlich abwechslungsreich und ausgewogen. Ich kann mich nicht daran erinnern, während der gesamten Klassenfahrt auch nur einmal den Satz: „Ich habe Hunger!“ gehört zu haben.

Nach dem Mittagessen sollten die Kinder in ihren Zimmern ein wenig zur Ruhe kommen. Vielleicht brauchten auch Frau Adams und ich ein bisschen Ruhe, um für den restlichen Tag Kraft zu tanken. Gut gestärkt und ausgeruht trafen wir uns also gegen 14 Uhr auf dem Gang, bereit für unsere erste kleine Wanderung.  Unser Ziel lag etwa 3 km entfernt, auf 81 m Höhe gelegen, mitten im Wald. Wo genau es hingehen sollte, wollten Frau Adams und ich erstmal nicht verraten. Es ging also los. Auf dem Weg wurden Wanderstöcke gesucht und gefunden und manchmal wieder verworfen, mal ging es links, mal rechts, mal bergab oder bergauf. Um ehrlich zu sein, kannte ich den exakten Weg ursprünglich selbst nicht, aber das Handy in der Tasche und die gut platzierten Wegweiser gaben mir eine gewisse Sicherheit. Nach ca. 30 Minuten und der letzten Linkskurve waren wir angekommen. Vor uns lag der Aussichtsturm Taubenberg, ein ungefähr 30 Meter hoher Fachwerkturm, der in den siebziger Jahren errichtet wurde. „Wow“, dachte ich leise, während die Kinder dasselbe laut in den Wald hinein schrien. Ein paar von uns waren anfänglich ein wenig ängstlich, aber nachdem Frau Adams und ich die Kinder davon überzeugt hatten, dass man der deutschen Architekturkunst blind vertrauen könne, wurden die meisten von uns ganz oben auf der Aussichtsplattform mit einer atemberaubenden Aussicht über das Rhein- und Maas-Tal belohnt.   

Um den Rahmen dieses kleinen Berichts nicht zu sprengen, sei nur so viel gesagt. Auch der nächste Tag sollte äußerst ereignisreich werden. Das Wetter war wieder ausgezeichnet, wir aßen gut, gingen Wandern, bestaunten die Krickenbecker Seen und das dazugehörige Schloss, die Kinder spielten und lachten und taten das, was sie am besten können. Auch ein paar Tränen wurden vergossen. Nach Anbruch der Dunkelheit machten wir eine kleine Nachtwanderung durch den Wald und währenddessen gab es einen Moment der Stille, in der wir alle innehielten und die Sterne beobachteten. Für mich war das ein unglaublich schöner Moment, den ich wahrscheinlich nie vergessen werde.  

Während meiner dreizehnjährigen Schulzeit war ich etliche Male in Schullandheimen und Jugendherbergen. Als Lehrer war unsere Fahrt in die Jugendherberge Nettetal-Hinsbeck meine erste.  

Die erste Klassenfahrt im Leben ist immer etwas Besonderes.   

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